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Künstliche Haut: Roboter mit Fingerspitzengefühl sind gerade einen Schritt näher gerückt

Post aus Japan: Künstliche Haut vor dem Start

Als Kind ließ sich Benjamin Tee von japanischen Roboter-Mangas inspirieren. Nun ist der Mann aus Singapur einer der Pioniere, die Automaten gefühlvoller machen.

Roboter mit Fingerspitzengefühl sind gerade einen Schritt näher gerückt. Im Juli stellte Benjamin Tee von der National University Singapore (NUS) ein System vor, dass Sinneseindrücke seiner künstlichen Haut tausend Mal schneller als das menschliche Nervensystem übermittelt und nun auch auswerten kann. Noch ist die Haut nur wenige Quadratzentimeter klein. Aber Tee hegt bereits große Hoffnungen, dass die Vermarktung schon bald möglich wird. “Wir werden im kommenden Jahr Anwendungen sehen”, meint er im Interview. “Ich bin da sehr optimistisch.”

Tees Beitrag zu dem Gemeinschaftsprojekt mit dem Computerwissenschaftler Harold Soh ist die künstliche Haut. ACES nennt er sie, oder ausgeschrieben asyncronous coded electric skin. In der flexiblen Haut sind Druck- und Temperatursensoren untergebracht, die anders als das natürliche Vorbild die Daten nicht über viele Nervenbahnen weiterleiten, sondern über ein Übertragungskabel.

Mit seinen Kollegen hat Tee nun auch noch Sehsensoren und einen stromsparenden neuromorphen Chip mit der Haut verbunden und so die Idee soweit entwickelt, dass er auf Kundensuche unter Roboterherstellern gehen kann. Tees Kopie ist inzwischen sensibel genug, Blindenschrift mit 90-prozentiger Genauigkeit zu erkennen.

Dabei muss das Gerät anders als der Mensch nicht über die erhabenen Punkte streichen, sondern erkennt die Kombination durch sanftes Auflegen. Es kann auch die Form und die Beschaffenheit von Objekten identifizieren, demonstrierte Tee gerade in Singapur. “Wir haben sogar einen Geschwindigkeitsvorteil vor dem Menschen”, so der Leiter der Tee-Forschungsgruppe an der NUS. “Wir können Härte, Weichheit, die Form von Objekten zehn Mal schneller klassifizieren als das menschliche Auge.”

Für Tee stellt sein Projekt einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung smarterer und nützlicherer Roboter dar. Denn es ermöglicht Robotern nicht nur, präziser ihre Umwelt zu erkennen, sondern auch, mit ihr ähnlich wie ein Mensch zu interagieren. “Wir haben ein Niveau erreicht, das das gut genug ist, um die Technik vom Labor in die reale Welt zu bringen”, meint Tee.

Die künstliche Haut hat laut dem Forscher in etwa 80 bis 90 Prozent des Funktionsumfangs der menschlichen Haut erreicht, Robustheit und die Fähigkeit zu einer gewissen Selbstheilung inklusive. Und er ist zuversichtlich, in den kommenden Jahren das Original ein- oder gar überholen zu können.

Als erste kommerzielle Anwendung konzentriert sich Tees Team auf den Einsatz in der Logistik. Dort sollen Roboter mit Fingerspitzengefühl Menschen beim Sortieren und Packen ersetzen oder ergänzen.

Die Pandemie erhöht den Reiz von Robotern noch, hofft der Wissenschaftler. Denn es werde schwierig, eine große Zahl von Menschen an einem Ort arbeiten zu lassen. Tee geht daher davon aus, dass die Logistikfirmen daher stärker autonome oder ferngesteuerte Roboter einsetzen wollen.

Danach folgen in Tees Vermarktungsstrategie Roboter für gefährliche Umgebungen und dann der Einsatz in der Medizin, vor allem für seine ursprüngliche Inspiration, den Einsatz in Prothesen. Als Kind faszinierten ihn nicht nur japanische Manga- und Anime-Roboterhelden wie die Roboterkatze Doraemon und Robot Suit Gundam, sondern auch die Science-Fiction-Filme Star Wars.

In einer Szene verlor der Held Luke Skywalker seinen Unterarm und erhielt eine voll einsatzfähige Prothese als Ersatz. Sein Traum stand fest: Er wollte die Idee vollenden und Technologien entwickeln, die den Menschen helfen. Nun, da seine erste Kreation kurz vor der Vollendung steht, traut er sich zu noch größeren Träumen: “Ich würde gerne Roboter erleben, die mit meiner Technik das Universum erforschen.”

Doch zuvor kann er seine ACES noch auf Erden nützlicher machen. So forscht sein Team daran, Hautkrebs durch Ertasten aufzuspüren. Auch die Transplantation künstlicher Haut bei Brandopfern hält Tee für eine “lohnenswerte” Idee. Selbst den Einsatz in Spielzeug kann er sich vorstellen.

Preislich jedenfalls bewege sich das System auf einem “angemessenen Niveau”, so der Wissenschaftler. “Das Material für die Haut ist nicht so teuer”, sagt Tee. Und bei der Datenverarbeitung greife man auf handelsübliche Ware und Software zu.

 

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